Gedenken an Reichsprogromnacht

Grußwort des stv. BM zum 80-jährigen Gedächtnis der Reichsprogromnacht in Mettmann am 9.11.2018

Was am Heutigen Tag vor 80 Jahren in unserer Stadt geschehen ist, davon erfahren wir ganz aktuell durch einen Beitrag unserer ehemaligen Mettmanner Stadtarchivarin Gudrun Wolfertz, aus der diesjährigen Septemberausgabe der Medamana, dem Heimatblatt der Aulen Mettmanner. Frau Wolfertz lässt den damals achtjährigen Zeitzeugen, Günter Baumgarth von seinen Erlebnissen berichten.
Unter Anderem wurde groteskerweise die bereits arisierte Metzgerei der jüdischen Familie Bach an der Mühlenstraße zum Ziel von Zerstörung. Auch das Schuhgeschäft Neffendorf an der Poststraße wurde mit Parolen beschmiert und der Eingang zugemauert.

Für die meisten damaligen jüdischen Mitbürger stellten die Novemberprogrome von 1938 eine entscheidende Zäsur dar. Von diesem Zeitpunkt an wurde das Leben für Juden in Deutschland unerträglich und die Demütigungen und Schikanen der Verfolgung steigerten sich von Tag zu Tag. Für unsere Eltern und Großeltern war die Nacht vom 9. auf den 10. 11. schon ein auffälliges Ereignis, und viele waren auch davon abgestoßen aber es änderte an deren Lebenssituation nichts.

Die Schicksale der jüdischen Mitbürger allerdings entwickelten sich völlig anders. Die jüdische Bevölkerung wurde in den Folgejahren fast vollständig ausgerottet, heute gibt es nur noch 100.000 Juden in Deutschland. Sie verloren ihren Besitz, ihre Heimat, ihre Familien und ihre Zukunft. Wir Deutsche empfanden das Kriegsende vor allem als Stunde Null und als Neubeginn; da blieb für Trauer und Sühne keine Zeit.

Bis 1988 z.B. wurde das Wort Reichskristallnacht problemlos weiter benutzt.
Der Berliner Kabarettist Werner Finck hatte diesen Begriff geprägt
und sprach in einer Aufführung zum ersten Mal von ,Reichskristallnacht‘. Er wurde wegen dieses Ausdrucks aber auch inhaftiert, bevor die Nazis sich selber dieses Euphemismus bemächtigt hatten.

So steht nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 vor allem die Progromnacht als historischer Fixpunkt für den Antisemitismus in Deutschland in unserem öffentlichen Bewusstsein. An sie wird in den meisten Städten unseres Landes jährlich öffentlich erinnert. Diese Kultur von Gedächtnis und Trauerarbeit aber steht gegenüber den zunehmenden antisemitischen Ausbrüchen in Deutschland deutlich schwächer dar

Gleichzeitig aber lebt, oft verdeckt oder versteckt, der Judenhass nicht nur bei uns fort. In ganz Europa und auf der gesamten Welt treibt er mit Hetze und Diffamierung mit Anschlägen und Mord sein neues verbrecherisches Unwesen.
Ein unabhängiger Expertenkreis des Bundestags hat aktuell untersucht, dass 20% unserer Bevölkerung eine latent antisemitische Einstellung hat. Das ist nicht die Mehrheit, aber eine bedrohliche Anzahl, die in dem Maße steigt, wie faschistisches Gedankengut wieder salonfähig wird und in der derzeitigen präfaschistischen Krise der Demokratie auch wieder offen zur Darstellung kommt.

In der Diskussion, bei der, in Abgrenzung zu den Muslimen, ständig von einem gemeinsamen christlich jüdisches Abendland geredet wird, fehlt es an Differenzierung und Genauigkeit, Wir haben und hatten bis heute kaum eine solche Gemeinsamkeit. Juden haben mit uns Deutschen von innerer Absonderung bis zu unendlich vielen Progromen und schließlich dem Holocaust überwiegend Misstrauen, Feindschaft, Verbrechen und den Genozid erlebt.

Auch wenn schließlich eine offizielle Aussöhnung mit den Israelis zustande gekommen ist, bleibt bei dem z. B. oft gehörten Satz "Man dürfe gegen die Juden und Israelis ja nichts sagen" eine deutliche Antihaltung und ein versteckter Antisemitismus. Den gibt es bei Alten und Jungen. Der Satz," es wird langsam Zeit die Sache zu vergessen", ignoriert, dass es uns, den Tätern, nicht ansteht, den Zeitpunkt des Vergessens zu bestimmen. Vergessen wird dabei auch, dass es bei uns in Deutschland für unsere Gegenwart nicht mehr nur um Schuldzuweisungen, sondern jetzt um die Notwendigkeit des Erinnerns und um eine Haltung des Gedächtnisses und Gedenkens
geht. Je weniger wir das zustande bringen, umso mehr sind wir gefährdet oder wie unser Bundespräsident Frank Walter Steinmeier heute Morgen im Bundestag sagte:

"Wir müssen beweisen, dass wir wachsamer geworden sind angesichts unserer Geschichte."

Im Namen von Rat und Verwaltung spreche ich Rainer Köster, der in intensiver Vorarbeit die Namen der 172 Verfolgten und Opfer gründlich recherchiert hat und Markus Kier, der die gesamte Aktion der Namensanbringung und auch die heutige Veranstaltung koordiniert hat, den Dank der Stadt Mettmann aus.

Mettmann, am 9.11.2018

Berthold Becker, stv. Bürgermeister

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Mit freundlicher Unterstützung von täglich.me dürfen wir darüber hinaus auch noch die erschienene Terminankündigung online zur Verfügung stellen:

Kurz notiert in Mettmann | 27. Oktober 2017

Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht am 9. November
Von Philipp Nieländer
Am 9. November jährt sich der Jahrestag der Novemberpogrome zum 79. Mal. Es war der Tag, an dem tausende Juden von den Nationalsozialisten misshandelt, verhaftet oder getötet wurden.
In der sogenannten Reichspogromnacht wurden vom 7. bis 13. November 1938 über 1.300 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben. Über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Diese Nacht war der Auftakt zum größten Völkermord in der Geschichte der Menschheit.
Das Mettmanner Bündnis für Toleranz und Zivilcourage möchte auch in diesem Jahr am Koburg-Mahnmal auf dem unteren Lavalplatz mit Kranzniederlegungen und kurzen Redebeiträgen, u.a. von Schülerinnen und Schülern des Konrad-Heresbach-Gymnasiums, an die Opfer von Terror und Gewalt durch das nationalsozialistische Regime erinnern. Auch den aktuellen Opfern rechtsextremer, rassistischer Übergriffe und Gewalt in Deutschland soll an diesem Abend gedacht werden.
Die Veranstaltung soll somit zugleich ein Zeichen setzen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und für die Bedeutung und den Erhalt einer lebendigen Erinnerungskultur. Beginn ist um 18 Uhr. Alle Interessierten sind sehr herzlich zur Veranstaltung eingeladen. Weitere Informationen findet man auch im Internet unter www.mettmann-gegen-rechts.de
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